Keiner weiß, wie Leben geht

Es gibt sie zuhauf. Inflationäre Ratgeber, die uns mit verheißungsvollen Titeln „In 3, 5 und 8 Schritten
zum Erfolg“ versprechen, in kürzester Zeit und mit einfachsten Mitteln das Glück auf Erden zu finden.
„Wenn Sie die Schritte genau befolgen, dann kann ihr Leben nur gut werden.“ Welch seltsame
Konstruktion, die uns da in der westlichen Welt als erstrebenswert angepriesen wird.

Als gäbe es ein Rezept für den Kuchen „Das gelingende Leben“. Als könnten wir das Leben korinthenkackermäßig in klar definierte Planungsschritte aufteilen. Wenn das so einfach wäre,
weshalb gibt es dann eine endlose Zahl an gescheiterten Lebensentwürfen? Und was heißt
schon „gescheitert“? Woran messen wir Erfolg oder ein gelungenes Leben?

In Wahrheit weiß keiner von uns, wie Leben geht. Wir geben zwar alle vor, wir wüssten wie es funktioniert
und erheben unser wackeliges Konzept, das rein auf einer Vermutung basiert, zur Maxime. Eifrig streiten
wir um die Wette, dass unser Plan besser sei als der von den anderen. Wir konkurrieren und stürmen mit
unseren Behauptungen voran, um dann über unser marodes Konstrukt zu stolpern und von des Lebens
Weisheit zu Fall gebracht zu werden. Dabei kichert das Leben heimlich vor Freude über unsere
überhebliche Ignoranz.

Einige können ihr Fata-Morgana-Wissen besser kaschieren als andere. In der Unternehmersprache hieße
das „sich besser zu vermarkten als die Konkurrenz“. Es geht ja darum eine Marke aufzubauen. Oder wäre
es passender zu sagen „eine Maske anzulegen“? Da wären wir bei der Medizin gelandet. Hier verkünden
die Halbgöttinnen und Halbgötter in Weiß gern gönnerhaft, sie wüssten, an welcher Krankheit eine Person erkrankt sei. Obwohl sie selbst im Meer der Unwissenheit zu ertrinken drohen, greifen sie willkürlich nach
dem naheschwimmendsten Treibholz, das den Namen eines beliebigen Krankheitsbildes trägt.

So belügen und betrügen wir uns gegenseitig, was das Zeug hält, stets auf der Pirsch die Maximen der anderen zu entlarven. Weshalb können wir unsere Ahnungslosigkeit nicht schlicht und einfach zugeben?
Dazu stehen: „Ich weiß nicht, wie Leben geht.“ Ich lasse Marken und Masken fallen und ergebe mich mit
erhobenen Händen. Das Leben selbst weiß, wie es geht. Weil es einfach IST. Also gebe ich mich dessen Strömungen hin. Im Sinne von „dein Wille geschehe“ – und Punkt.