Auf eine Atempause
Ohne ihn können wir nicht existieren. Er ist Quelle des Lebens und der Stimme. Er kommt und geht
ohne unser Dazutun als Geschenk, ohne Forderung oder Gegenleistung, einfach so: der Atem.
Im Durchschnitt atmet ein Mensch täglich 20.000 Mal und bewegt dabei rund zwölf Kubikmeter Luft.
20 Atemzüge pro Minute geschehen bei der Ruheatmung, bei sehr körperlichen Aktivitäten ist unsere Atemfrequenz schneller. Je nach Tätigkeit passt sich der Atemrhythmus an. In der Meditation kann sich
die Atemfrequenz bis auf vier Atemzüge oder weniger pro Minute reduzieren.
Beim Atmen fällt die Luft in uns ein und verlässt unseren Körper passiv. Oft wird jedoch in Stimmtrainings
oder bei Entspannungstechniken darauf hingewiesen, tief zu atmen bis in den Bauch hinein. Aus der
Passivität wird eine Aktion, d.h. wir beginnen dann, den Atem zu manipulieren und Luft aktiv einzuziehen. Damit verändern wir den natürlichen Rhythmus der Alltagsatmung. Die äußere Bauchmuskulatur wird
aktiviert statt den unwillkürlichen Prozessen des Nervensystems Vorrang zu lassen.
Das natürliche Kommen und Gehen des ein- und ausströmenden Atems gleicht der Wellenbewegung
einer ans Ufer und zum Meer zurückfließenden Woge. Mit der willentlichen Steuerung wird der Atemfluss unterbrochen, ein Staudamm entsteht: mental, emotional und psychophysisch.
Mental erzeugt die Anweisung Druck, vielleicht denken wir sogar: „Ich atme falsch.“ Emotional bereitet sie Angst. Daraus resultiert körperliche Enge. Die Muskeln kontrahieren, ziehen sich zusammen. Das führt wiederum dazu, dass die Koordination von den drei Hauptatmungsmuskelgruppen kurz gestoppt wird und andere Körpermuskeln einspringen, wie zum Beispiel die äußeren Bauchmuskeln oder die Zungenmuskeln. Der Atem steht unserer Stimme als Lebenselixier nicht mehr zur Verfügung. Dann klingt sie entweder gepresst, monoton, piepsig oder unlebendig.
Heute sind viele Menschen atemlos. Wir leben in einer schnelllebigen Zeit, die rapide weiter beschleunigt. Das Wort Stress ist in aller Munde. Körperliche und psychische Erkrankungen entstehen, von Angstzuständen bis zu Panikattacken, Burnout und Herz-Kreislauf-Beschwerden. Das „Schneller, weiter, mehr“ erschöpft uns. Es bewirkt auch bei vielen Menschen ein rasantes Redetempo ohne Redepausen. Manche sprechen derart schnell, dass sie sich verhaspeln, ihren eigenen Gedanken hinterherrennen oder über sie stolpern.
Lassen wir jedoch den organischen Abläufen des Körpers Vorrang, finden wir zu unserer Natur zurück. Dann funktioniert das geniale Zusammenspiel von Körper, Stimme, Intellekt und Gefühl wieder „wie von selbst“. Innehalten, den Atem spüren und dem Nichts zwischen dem ein- und ausströmenden Atem zu lauschen, schafft Präsenz. Wir verbinden uns mit uns selbst und sind bereit zum Gespräch – die Basis für verständliche Kommunikation. Atempausen bieten Ruheinseln, entschleunigen das Sprechtempo und ermöglichen, gehört zu werden, von uns selbst und von anderen Menschen. Also, legen Sie einfach Atempausen ein. Zu einfach? Die Herausforderung liegt in der Umsetzung.